Mit diesen mentalen Fähigkeiten gewinnt Alexander Zverev seinen ersten Grand Slam Titel
Als der beste deutsche Tennisspieler nach seinem Ausscheiden im Viertelfinale der Olympischen Spiele in Paris im ZDF-Sportstudio sitzt, fragt er die Tennis-Legende Boris Becker fast flehentlich: „Boris, sag mir, wie kann ich einen Grand Slam gewinnen? Was kann ich da nur machen?“ Die Antwort von Boris Becker: „Da schließen wir uns mal zwei Tage ein und dann reden wir über dein Tennis.“
Kann man so beantworten – muss man aber nicht. Was seine Physis und sein Spiel angeht, hat der Weltranglisten-Vierte zweifelsohne weltweit die besten Experten zur Seite stehen. Berater, mit deren Unterstützung der 27jährige sein Spiel, seine Technik und seine Athletik auf das Level eines Weltranglistenersten und Grand Slam Siegers heben kann. Wenn er nicht schon längst alles in seinem Repertoire hat, was er dazu braucht.
Um seinen ersten Grand Slam-Titel zu feiern, braucht Alexander Zverev aber etwas Anderes. Erst mit weiteren mentalen Fähigkeiten wird er dazu in der Lage sein, dass zu erreichen, wovon er bislang erst träumt. So seltsam und paradox sich das jetzt auch anhören mag: Alexander Zverev muss sich mental des dringenden Wunsches entledigen, einen Grad Slam Titel zu gewinnen und gleichzeitig das Gefühl ausstrahlen, den Titel schon gewonnen zu haben.
Lasst uns ein paar Kilometer weiter zum benachbarten Leichtathletikstadion gehen. Dort könnte Alexander Zverev möglicherweise eine gute Idee zur Lösung seines Themas bekommen. An der Hochsprunganlage steht Nicola Olysagers, die sich auf ihre 1,98 Meter Sprunghöhe vorbereitet. Wie auch schon bei den Sprüngen davor, geht plötzlich ein Strahlen über ihr Gesicht. Ihr ganzer Körper wird, sichtbar für alle, von einer unglaublich positiven Energie und Freude erfasst. Sie murmelt sich noch ein paar Worte zu und überspringt voller Vitalität und Genuss diese Höhe. Nach dem Sprung eilt sie auf ihre Bank und macht sich Notizen. Der Reporter kommentiert: „Jetzt schreibt sie gerade ins Buch: Gleich werde ich die 2 Meter überspringen.“ Auch er scheint deutlich erfasst zu haben, über welche mentalen Fähigkeiten die Australierin verfügt. Dass Leistungssportler den Bewegungsablauf konzentriert vor dem eigentlichen Start visualisieren, ist bekannt.* Nicola Olysagers nutzt aber sichtlich nicht nur ihren Verstand, sondern auch ihre Gefühle. Sie scheint ihr beabsichtigtes Resultat schon vor dem Sprung mit jeder Faser zu fühlen, geht wie selbstverständlich von dessen Erfüllung aus und genießt jeden Meter auf dem Weg zu ihrem Erfolg. Das eigentliche Ergebnis steht nicht im Vordergrund, die Sportlerin hat so oder so eine gute Zeit und weiß, dass sie alles in ihren Kräften stehende investiert hat. Nicola Olysagers überspringt die 2 Meter im ersten Versuch und gewinnt die olympische Silbermedaille.
Immer ausgehend von einem top physischen Zustand – ob ein Tennisspieler wie Alexander Zverev auch seinen großen Triumph – den Gewinn eines Grand Slam Titels erreicht – bestimmt er längst im Vorfeld des Matches. Er bestimmt den Ausgang des Matches durch seine Einstellung, seine Gedanken und Emotionen dazu. Am Ende ist es seine Ausstrahlung und Energie, die über Erfolg und Misserfolg bestimmt. Das unsere Gedanken unsere Gefühle und unsere Handlungen beeinflussen und sogar steuern, ist nichts Neues. Um sich aber auf einem Weltspitzenlevel durchzusetzen, bedarf es noch ein etwas weitgehenderen Betrachtungsweise des Weges zum „Erfolg“. Es ist ein zum Teil ungewöhnlicher Ansatz, der sich aus der modernen Neurowissenschaft und den Gesetzmäßigkeiten der Natur herleitet.
Du bestimmst Deine Realität oder Du bist, was du denkst
Das menschliche Bewusstsein nimmt nur einen minimalen Bruchteil aller momentanen Reize wahr. Bevor Informationen zu uns durchdringen, müssen sie durch eine Art Wächter oder Filter – das retikuläre Aktivierungssystem – dass pro Sekunde an die 400 Millionen Informationseinheiten verarbeitet. Und jetzt kommt der große Gamechanger, wenn du die Bedeutung der nächsten Zahlen verinnerlichst: 99 Prozent dieser Informationen werden wieder aussortiert. Oder anders gesagt: Über das eine Prozent, dass zu uns durchdringt, bestimmen wir maßgeblich selbst.
Das RAS lässt – neben einer Menge Sicherheitsmarkern – nur das zu uns durch, was wir für uns als wichtig erachten. Wenn das jetzt im Falle von Alexander Zverev ein Glaubenssatz wie: „Ich weiß nicht, wie ich den Grand Slam gewinnen kann“, gibt, dann wird sein Gehirn alles dafür tun, ihm die Richtigkeit diesen Gedanken permanent zu beweisen. Er richtet seinen Fokus auf die Unsicherheit in sich und auf all die Dinge, die besser hätten laufen können. Warum? Unser Gehirn liebt es, Recht zu haben und sorgt dafür, dass wir Erfahrungen machen, die unserer Wahrheit entsprechen. Wissenschaftlich ausgedrückt: Das Gehirn arbeitet immer mit dem Fokus auf Energieeffizienz und wenn uns etwas wichtig zu sein scheint oder wir etwas häufig wiederholen, dann unterstützt es uns darin. Das heißt: Wenn Alexander Zverev sich ärgert, unzufrieden ist oder negativ auf den fehlenden Titel reagiert, programmiert er sein Gehirn auf diese Umstände und verfestigt das Muster, diese bestimmte Turnierreihe nicht zu gewinnen. Je öfter er unsicher darüber redest oder sich mit negativen Gefühlen an seine Niederlagen im Finale erinnert, umso weniger wird er in Zukunft dazu in der Lage sein, das größte aller großen Turniere zu holen. Dabei ist nichts Falsches an Analysen und daran, aus vergangener Erfahrung zu lernen. Für einen erfolgreichen Weg darf unsere Aufmerksamkeit aber nicht auf die Erfahrung, sondern auf die Erfüllung des nachgebesserten Zustands gerichtet werden.*
Die spektakulär gute Nachricht, die uns die Funktionsweise des RAS mitgibt: Wir bestimmen mental, wie sich unsere Realität gestalten wird. Wir bestimmen, welche Informationen, Gedanken und Gefühle wir unserem Gehirn anbieten, die dann bestätigt werden. Abseits jeglicher esoterischen Strömung: Wir erzeugen damit unsere Realität.
Was bedeutet das jetzt konkret? Wir müssen bewusst beobachten, wie wir über bestimmte Situationen denken und alle negativen Töne über Bord schmeißen. Töne wie: „Ich schaffe es einfach nicht, diesen letzten Titel zu gewinnen“ oder „Ich weiß nicht, was mit mir los ist, dass ich es auf den letzten Metern nicht mehr schaffe, zu überzeugen“ oder noch schlimmer: „Ich verfüge nicht über die nötigen Fähigkeiten, einen Grand Slam zu gewinnen usw. Alles, was jetzt nötig ist: Diese negativen Glaubenssätze bewusst durch die positive Realisierung des Ziels ersetzen. Der neue Glaubenssatz heißt jetzt nicht: „Ich werde einen Grand Slam gewinnen.“ Auch dieser Satz suggeriert ja, dass wir noch im Mangel sind, weil der Titel ja eben noch nicht gewonnen wurde. Gewählt werden muss ein Gedanke, der uns erlaubt bereits zu haben, was wir wollen. Künftig sollte Alexander Zverev also mit einem Zustand von „Ich habe einen Grand Slam Titel gewonnen“ und dem freudigen Gefühl dazu durchs Leben gehen. Dabei ist in ihm bereits alles, was er fühlt und was er in dem Moment erlebt, wenn er den Titel holt. Durch diese neue Energie programmiert der Hamburger in seinem Inneren alles darauf, was in dem nächsten Finale den Unterschied machen wird.
Entsagen, um zu bekommen oder Entspannte Gelassenheit
Je stärker wir auf der mentalen Ebene etwas wollen und verkrampft verfolgen, desto weniger werden wir es erreichen. Leistungssportler sind stark daran gewöhnt, hart dafür zu arbeiten, etwas zu erreichen. Auf der mentalen Ebene ist für das Erreichen von Höchstleitungen das Gegenteil wichtig. Streng dich weniger an, dann wirst du mehr erreichen – könnte hier die Formel lauten. Lass los und geh in den Zustand der Erfüllung. Du hast einfach und handelst. Durch Erwartungen, Wünsche und Grübeleien verlierst du nur Energie.
Auf der biochemischen Ebene können wir Dinge nicht objektiv betrachten, wenn sie für uns sehr wichtig sind. Oft erreichen wir dadurch Ergebnisse, die unserer Absicht entgegengesetzt sind. Ob wir auf dem Fußboden unserer Wohnung oder am Rande einer Klippe stehen, hat energetisch die gleiche Bedeutung. Ob eine Tennisspieler*in diesen, einen anderen oder gar keinen Titel erreicht, macht auf der energetischen Ebene erstmal keinen Unterschied. Erst durch unsere Hinzugabe von Gefühlen wird eine Wichtigkeit erzeugt. Da alles in unserem Leben dual ist und zu einem Zustand der Balance strebt, entsteht jetzt im Falle der Klippen häufig durch unsere Angst eine Gespanntheit, die in der Wirkungsweise eine nach unten ziehende Kraft bewirkt beziehungsweise uns dazu bewegt, ein paar Schritte nach hinten zu gehen.
Was heißt das jetzt für Alexander Zverev? Er kann und wird seinen ersten Grand Slam Titel gewinnen, wenn er ihm mental eine andere Bedeutung gibt oder ihm gar die Wichtigkeit komplett entzieht. Das mag jetzt vielleicht komplett konträr zu all dem klingen, was Leistungssportler in ihrer Karriere eingetrichtert bekommen. Dabei geht es nicht darum, nicht mehr mit aller Kraft physisch an der Erreichung der Ziele zu arbeiten. Es geht nicht darum zu sagen, dass ihm der Titel nicht mehr wichtig ist. Es geht darum, eine so große Dankbarkeit für das bereits Erreichte und so viel Freude am Prozess zuzulassen, dass eine Gleichgültigkeit im Sinne des Wortes erreicht wird. Eine Gleichgültigkeit, die sagt, so oder so – ich bin ok. Ich liebe das Spiel, ich gebe da alles rein und vertraue, dass ich auf Basis dessen das erreiche, was möglich ist. Durch diese Entspannung kommen der Raum und die Energie, um Erwünschtes zu erreichen.
Als Nicola Olysagers die nächste Höhe nicht mehr erreicht, strahlt sie weiter. Der Weg ist hier das Ziel. Der Weg als Tunnel zum Erfolg, der sie regelrecht mit Energie aufpumpen hat, weil sie ihn mit Spaß, Freude und Inspiration gegangen ist. Für sie war auch ein mögliches Scheitern kein Thema in ihrem Kopf. Weil sie weiß, dass auch ein „Misserfolg“ den Weg zum nächsten „Erfolg“ ebnet. Weil sie akzeptiert und mag, was ist und was kommt. Und das ist der Schlüssel. Es ist der eigene Widerstand, die kleine negative Stimme oder die Überhöhung der Situation in uns, die erwünschte Ziele in weite Ferne rücken lassen. Nicola Olysagers gesamte positive Ausstrahlung schien uns entgegenzuschleudern, dass sie dankbar war für alles bisher Erreichte und alles, was sie gerade umgibt. Dadurch konnte die Hochspringerin ihre Psyche so stark darauf ausrichten, dass jeder Meter ihres Wettkampfes ein Genuss war und Zweifelei keinen Raum hat. Erfolg stellt sich von allein ein, wenn du liebst, was du tust, das mit jeder Faser deines Körpers ausstrahlst und deine Wertigkeit nicht an das Gelingen äußerer Faktoren knüpfst.
Für die Arbeit mit in diesem Falle Hochleistungssportlern ist ein weiterer Baustein unerlässlich. Es reicht nicht aus, nur in den erfüllten Zustand des Zieles zu gehen. Schritt für Schritt wird der komplette Prozess durchgespielt – dabei liegt der Fokus darauf, wie die Athletin in jeglicher möglichen Situation im optimalen Sinne reagiert.
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